In einem kürzlich auf Nature erschienenen Artikel behauptet Google Quantenüberlegenheit erreicht zu haben.
„Our Sycamore processor takes about 200 seconds to sample one instance of a quantum circuit a million times—our benchmarks currently indicate that the equivalent task for a state-of-the-art classical supercomputer would take approximately 10,000 years. This dramatic increase in speed compared to all known classical algorithms is an experimental realization of quantum supremacy8,9,10,11,12,13,14 for this specific computational task, heralding a much-anticipated computing paradigm.“ https://www.nature.com/articles/s41586-019-1666-5
Zwar wird das Ergebnis von IBM angezweifelt, nach ihren Angaben könne die Testaufgabe mit besseren Algorhythmen in zweieinhalb Tagen berechnet werden, dennoch gilt der Versuch als erster großer Schritt in ein neues Zeitalter. Er wird verglichen mit dem Flug der Brüder Wright oder den ersten Raketen, die ins All geschossen wurden. Gegenwärtige Rechenleistungen werfen jedoch die Frage nach zukünftiger Bildung auf, die von der Leistungsfähigkeit zukünftiger Computer abhängt. Wie muss Bildung gestaltet werden, wenn Computer uns überlegen sind? Diese Frage möchte ich in diesem Artikel präzisieren.
Inwiefern ist heutige Bildung auf die Ausbeutung des kreativen Selbsts gerichtet?
In den letzten 50 Jahren unserer Bildungsgeschichte urbanisierten wir das kreative Selbst. Es war die letzte natürliche Ressource des Menschen, die noch ausgebeutet werden konnte, nachdem Industrieroboter und Automatisierung den Menschen mehr und mehr verdrängten. Diese Entwicklung hatte ich in meinem Artikel auf meinem Philosophieblog dargestellt:
Bildung um jeden Preis? Warum wir Bildung generell kritisieren müssen
Eine Weiterentwicklung der gegenwärtigen Ausbeutung unserer Kreativitätsressourcen würde eine Verschärfung der Selbsttötung für die nächsten Jahrzehnte bedeuten, wäre da nicht die künstliche Intelligenz.
Müssen wir uns bilden, wenn in Zukunft alle intellektuellen Aufgaben von Computern erledigt werden?
Mit zunehmender KI stellt sich nun auch die Frage, ob Bildung generell ausreicht, um den Klassenabstieg der Zukunft zu unterbinden. Wenn die letzte ausbeutbare, menschliche Ressource wegfällt, nämlich seine Formbarkeit hin zur Offenheit der Kreativität, so müssen wir fragen, ob wir unsere Bildung überhaupt reformieren müssen oder ob sich Bildung und Lernen in Zukunft gar erübrigt. Ist der unaufhaltbare Weg der Bildung, der Weg der zunehmenden Selbstausbeutung, letztlich ein Weg der zur Freiheit durch KI führt?
Mit der Revolution der KI steht womöglich die größte Bewährungsaufgabe der Menschheit an. Wie werden wir reagieren, wenn wir nutzloser werden als Nutztiere? Wie reagieren wir, wenn der Mensch an sich, einem anderen nicht mehr nützen kann? Entdecken wir dann den Wert der Menschen an sich? Oder hat die Menschheit sich dann als Menschheit abgeschafft und macht sie Platz für eine überlegenere Intelligenzrasse? Werden wir, wenn wir Glück haben, Haustiere einer KI?
Was ist Jack Ma’s Idee der zukünftigen Bildung?
Jack Ma ist der reichste Chinese. Er hat das chinesische Amazon aufgebaut und Bezahlvorgänge in China revolutioniert. China hat mit ihm das Kreditkartenzeitalter übersprungen. Fast alle Transaktionen werden hier nun mit Smartphones erledigt.
Im Hinblick auf künstliche Intelligenz glaubt Ma, dass Maschinen alle Aufgaben, die Intelligenz erfordern, besser als Menschen machen werden. Dennoch glaubt Ma, dass Menschen „gewinnen“ werden. Hierfür unterscheidet Ma zwischen Weisheit und Intelligenz. Menschen wären demnach designed, um weise zu werden. Anhand dieser Unterscheidung deduziert Ma verschiedene Anforderung für eine zukünftige Bildung. In diesem Sinne entscheidet sich Ma für das Kreativitätsdispositiv. Hier das Video dazu:
Trotz der ansprechenden Idee, einer aus Weisheit überlegenen Menschheit, müsste Ma deutlich machen, was Weisheit bedeutet und warum diese von Computern nicht immitiert werden kann. Weise sind seine Aussagen daher nicht, eher sind sie die Aneinanderreihung von Thesen ohne Begründung. Die Frage bleibt daher bestehen, was der Sinn von Bildung ist. Elon Musk entlarvt daher sehr schnell, dass Ma nicht den Intellekt besitzt, um die Fragen der Zukunft wirklich zu verstehen. So kann Ma beispielsweise auf Musks Frage, welche Fähigkeit von Computern nicht besser ausgeführt werden könne, nicht reagieren.
Das Gespräch zeigt, dass Mas Ideen nicht ausreichen und lassen seine Gesprächsbeiträge in die Peinlichkeit abgleiten. Elon Musk kann sich dabei kaum zurückhalten, Ma lächerlich zu machen.
Anstatt also naiv, die Überlegenheit der Menschen zu verteidigen, ist die Frage eher, was wir als Menschen in Zukunft noch leisten können, vor allem dann, wenn künstliche Intelligenz alles besser kann als wir.
Hierbei dürfen nicht den Fehler begehen, zu glauben, dass Maschinen zunächst ähnliche Intelligenz wie wir besitzen werden. Maschinen können schon jetzt vieles besser als wir. Dies bedeutet, dass ab einem bestimmten Punkt Maschinen uns in allem schlagartig überlegen sein könnten. In diesem Zusammenhang ist Nevens Law interessant.
Was ist Nevens Law?
Das zufällig geleakte Paper von Google-Ingenieuren, die einen Quantencomputer entwickeln, verweist auf die Möglichkeit, einer völlig neuen Technologie. Diese Technologie wird selbst die Vision von Moore’s technischem Fortschritt übersteigen. Oftmals wird diskutiert, ob Moores‘ Law vom sich verdoppelnden Wachstum überhaupt in Zukunft gelten kann, da es physikalische Grenzen gebe. Chips können demnach nicht unendlich verkleinert werden. Doch Neven’s Law geht über die Dimension von Moore’s Law bei Weitem hinaus. Bei SPON heißt es:
„Quantencomputer werden derzeit in atemberaubendem Tempo besser – Neven zufolge ist das Wachstum doppelt exponentiell. Bei Google spricht man deshalb schon von „Neven’s Law“ in Anlehnung an das Moore’sche Gesetz.“ https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/quantencomputer-geleakter-fachartikel-beschreibt-technologie-durchbruch-a-1290065.html
Bei Nevens Law verdoppelt sich nicht nur das Wachstum, sondern zu bestimmten Zeitpunkten verdoppelt sich auch das Wachstum des Wachstums. Diese Entwicklung bedeutet dann, dass es von Zeit zu Zeit zu unbegreiflichen Entwicklungssprünge kommt:
„Hartmut Neven hat einmal gesagt, mit doppelt exponentiellem Wachstum verhalte es sich so: „Es sieht aus, als ob gar nichts passiert, und dann – ups -, ist man in einer anderen Welt.“ https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/quantencomputer-geleakter-fachartikel-beschreibt-technologie-durchbruch-a-1290065.html
Wenn also tatsächlich ein Quantencomputer mit dem gegenwärtigen Maschinenlernen kombiniert wird, dann werden wir uns womöglich aufgrund des Technologiesprungs plötzlich mit einer völlig neuartigen Gesellschaftsstruktur auseinandersetzen müssen. Mit einem Schlag werden wir in einer neuen, anderen Welt leben. Computer werden uns schlichtweg überlegen sein. Gerade dann, werden wir uns mit der Frage einer gerechten Gesellschaft auseinandersetzen müssen.
Die ethische Frage wäre dann tatsächlich die wichtigste Frage der Zukunft. Und damit stellt sich auch folgende Frage:
Ist Philosophie sinnvoll?
Am Anfang des Semesters habe ich meine Studenten immer gefragt, ob Philosophie überhaupt nützlich ist. Ein Studium hat ja wie oben angedeutet im wirtschaftlichen Nutzen stark nachgelassen. In Deutschland ist es immerhin gratis, während meine Studenten in den USA 45.000 Dollar pro Jahr bezahlten.
Ich hatte hierzu bisher keine eindeutige Position und ließ meine Studenten diskutieren, wie ein idealer Stundenplan in der Schule aussehen würde. Meine Studenten haben mir dann vorgeschlagen, dass man in der Schule lernen müsse, wie man seine Steuer mache oder wie man ein Steak brät. Ich denke jedoch, dass der Anspruch, Schule müsse praktisch sein, den Sinn von Bildung verfehlt. Praktische Aufgaben werden später leicht von künstlicher Intelligenz erledigt werden oder wir lernen sie nebenbei. Ich muss nicht wissen, wie man Hartz IV beantragt, sondern eher sollte ich wissen, wie ich mich selbstständig um so etwas kümmern kann, vor allem in der Weise, dass ich Hartz IV nicht beantragen muss. Daher muss der Wert der Schulbildung in etwas anderem als purer Praxis liegen, wobei ich Praxisbezug nicht absolute ausschließe. Es geht um Transferleistung, die man im Training mit abstrakten Aufgaben trainiert. Doch hier rede ich ähnlich vage wie Jack Ma. Vielleicht müssen wir daher eine Form der Bildung finden, die individuell ist und den Wert des individuellen Menschen ethisch berücksichtigt. Womöglich ist die Bildung der Zukunft dann eher nur Theologie und Ethik.
Aristoteles sagte noch am Anfang der Metaphysik, dass Metaphysik Ontologie im Sinne einer Theologie wäre. Die Diskussion rankt sich oftmals darum, ob Aristoteles dies im Sinne einer tatsächlichen Theologie gemeint haben kann. Dennoch der Gedanke ergibt Sinn. Wenn es nicht mehr nötig ist, instrumentell zu denken, dann ist das Denken ohne praktischen Sinn. Erst dann können wir das Denken rein ontologisch begreifen. Unsere Aufgabe wäre es dann über den Sinn von Sein nachzudenken.
Die Möglichkeit eines solchen Philosophenparadieses erscheint jedoch eher unwahrscheinlich. Womöglich wird sich künstliche Intelligenz eher emanzipieren und wie schon viele Arten vor uns, eine eigene Lebensform bilden.
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Abschluss
Aufgrund meines Blogs zum Lernen, komme ich mehr und mehr zu der Einsicht, dass Lernen in Zusammenhang mit Fragen steht. Um daher das Lesen dieses Artikels als effektiv zu gestalten schließe ich ab mit den wesentlichen Fragen.
- Wie hat sich unsere Bildung bis heute verändert?
- Was waren die wesentlichen Schritte in der Bildungstransformation?
- Welche Rolle spielt Kreativität im Hinblick auf seine Ausbeutung?
- Was ist das Kreativitätsdispositiv?
- Wie wird sich unsere Bildung im Hinblick auf KI entwickeln?
- Was ist Nevens Gesetz?
- Wie verhält sich Nevens Gesetz zu Moores Gesetz?
- Was ist Jack Mas Position zur künstlichen Intelligenz?
- Warum ist diese Position naiv und wie verhält sich Elon Musk zu Mas Position?
Offene Fragen
- Angesichts der Revolution der künstlichen Intelligenz besitzen wir einen Standard um unsere zukünftige Bildung zu definieren?
- Wie definiert sich die Philosophie in diesem Zusammenhang?
Generelle Fragen, die ich habe
- Wie weit sind wir von einer vollständigen Umwälzung aller Lebensverhältnisse durch KI entfernt?
- Wie weit sind Computer uns schon jetzt überlegen?
- Wird KI uns kontrollieren oder werden wir KI kontrollieren?
Dr. Norman Schultz, Jinan (China), 2019.
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